„Die Arbeit mit den Jugendlichen gibt mir unheimlich viel.“

Ehrenamtliches Engagement für die Jugend und für Demokratie: Ein Freiwilligen-Interview zum Projekt „Listen Up – Jetzt sind wir dran!“ der AWO Freiwilligenakademie OWL

Jessica Kirsch engagiert sich seit letztem Jahr im Jugendzentrum Kamp. Zu der Einrichtung der offenen Kinder- und Jugendarbeit ist sie über die AWO Freiwilligenakademie OWL gekommen. Diese setzt aktuell und mit der Förderung der Aktion Mensch das Jugend- und Demokratieförderprojekt „Listen Up – Jetzt sind wir dran“ um. Im Interview spricht Jessica Kirsch über ihr freiwilliges Engagement, ihre Motivation und die Herausforderungen, die sie in ihrem Ehrenamt erlebt.

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Erzähle uns kurz etwas über Dich. Wer bist Du und was machst Du zurzeit?

Ich heiße Jessica Kirsch, bin 31 Jahre alt und komme aus Bielefeld. Hier habe ich auch den Master in Deutsch als Fremdsprache absolviert und bin folglich Lehrerin für die deutsche Sprache. Zurzeit bin ich jedoch beim Bielefelder Stadtarchiv angestellt und kümmere mich um die Koordination einer erinnerungskulturellen Veranstaltung für junge Menschen am 08. Mai 2025 im Alten Rathaus Bielefeld. Das Motto lautet “Ich bin… – Zukunft braucht Erinnerung” und bezieht sich auf das 80. Jubiläum des 8. Mai 1945, der Tag, an dem die deutsche Wehrmacht kapitulierte und das Ende des Nationalsozialismus eingeläutet wurde.

Warum hast du dich für ein Engagement bei „Listen Up – Jetzt sind wir dran!“ entschieden?

Um ehrlich zu sein, wollte ich ein Ehrenamt anfangen, um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen. Das hat sich bisher nicht bewahrheitet. Aber es war die beste Entscheidung, die ich getroffen habe. Die Arbeit mit den Jugendlichen, auf die ich jeden Freitag treffe, gibt mir unheimlich viel. Man unterhält sich über Alltägliches, gibt Ratschläge und baut mit der Zeit eine persönliche Beziehung zu den Besucher*innen auf. Daher fühlt es sich nicht wie Arbeit an, sondern wie ein Treffen unter Freunden.

Was machst Du konkret in Deinem Engagement?

Da ich freitags nach der Arbeit ins Kamp komme, begegne ich nur Jugendlichen. Denn da findet der JuKu-Tag (Jugendkulturtag) statt. Für diese Zielgruppe wird das gesamte Haus geöffnet, sodass es ihnen freisteht, ob sie am PC, auf einer Konsole oder am Billardtisch zocken möchten. Meistens bin ich an der Theke anzutreffen. Dort verkaufen wir in einer Art “Kiosk” Süßigkeiten, Getränke und Snacks an jeden, der seinen Hunger stillen möchte. Manche Jugendliche sprechen kaum Deutsch und nehmen dann all ihren Mut zusammen, um etwas zu bestellen. Als Sprachlehrkraft finde ich diese Situationen besonders spannend.

Wie gefällt Dir dein Engagement im JZ Kamp?

Ich hatte zunächst etwas Startschwierigkeiten, weil ich meinen Platz im Team erstmal finden musste und mir komisch dabei vorkam, auf die Jugendlichen zuzugehen. Mittlerweile habe ich meine eigenen Strategien entwickelt, z.B. beginne ich eher mit einzelnen Jugendlichen Gespräche, anstatt mich einer ganzen Gruppe gegenüberzustellen und mich in Gespräche einzubringen. Meine Kolleg*innen habe ich auf diese Weise auch besser kennenlernen können und dadurch möchte ich mein Ehrenamt im Kamp definitiv fortsetzen.

Zusammenhalt und Vielfalt

Was findest du am besten?

Am meisten gefällt mir der Zusammenhalt unter den Mitarbeitenden und die kulturelle Vielfalt unter den Besucher*innen. Letzteres kommt besonders am JuKu-Tag zu tragen, da ich meine Sprachkenntnisse im Englischen, Russischen und Türkischen nutzen kann, um mit den Jugendlichen auf einer ihrer Erstsprachen zu plaudern. Da man sich besonders mit den eigenen Erstsprachen identifiziert, ergeben sich dabei sehr persönliche Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt der Jugendlichen, die für sie wahrscheinlich nicht auf der Fremdsprache Deutsch ausgedrückt werden könnten.

„Ein friedliches Zusammensein schaffen“

Welche Fähigkeiten oder (Er-)kenntnisse hast du durch das ehrenamtliche Engagement erworben?

Viele Aspekte habe ich bereits angerissen: Das Kamp ist ein Begegnungsort für Jugendliche unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher sozialer Schichten und unterschiedlicher Subkulturen. Da bereits eine demokratische und tolerante Stimmung herrscht, gelingt es allen Beteiligten, ein friedliches Zusammensein zu schaffen. Ich denke, dass man sich davon einiges für die Gestaltung des gesellschaftlichen Miteinanders abschauen sollte.

Wie reagieren die Jugendlichen auf dich als Freiwillige? Bei Listen Up ist man ja eine Art Begleiter*in und Mentor*in.

Die Jugendlichen reagieren im Allgemeinen eher vorsichtig und zurückhaltend, wenn sie eine Person nicht kennen. Sie brauchen etwas Zeit, um aufzutauen und über Kioskgespräche hinaus Kommunikation aufzubauen. Dabei sind selten Demokratie, Politik und Rechte die Gesprächsthemen, und ich versuche es nicht in den Vordergrund zu stellen, dass ich bei “Listen Up” bin und versetze sie auch nicht in eine schulische Lernsituation, sondern ich lasse sie auf mich zukommen und bespreche mit ihnen alles, was ihnen auf dem Herzen liegt.

Gab es Herausforderungen in deinem Engagement und wie hast du sie ggf. meistern können?

Bis auf meine Startschwierigkeiten musste ich mich keinen Herausforderungen stellen.

Ratschläge für Interessierte

Welche Ratschläge würdest Du jemandem geben, der sich ebenfalls bei “Listen Up” oder einem ähnlichen Projekt engagieren möchte?

Meiner Einschätzung nach sollte das Ehrenamt zu den persönlichen Interessen passen, weil man sich eben regelmäßig mit einer Aktivität in einer bestimmten Zielgruppe befasst. Bei “Listen Up” geht es ja um politische Bildungsarbeit und Demokratieförderung – Themen, mit denen ich mich im Vorfeld kaum auseinandergesetzt habe. Doch ich nutze sie als Möglichkeit, meinen politischen Horizont zu erweitern und ggf. gemeinsam mit den Jugendlichen etwas Neues über demokratische und politische Prozesse zu lernen. Das kann ein verbindendes Erlebnis sein.

„Demokratische Werte werden eigentlich die ganze Zeit über vermittelt.“

Wie fördert das JZ Kamp das Interesse und die Beteiligung der Jugendlichen an demokratischen Prozessen?

Demokratische Werte werden eigentlich die ganze Zeit über vermittelt, selbst bei simplen Fragen, wie z.B., wer als nächstes an die Konsole darf oder welches Gericht in der kommenden Woche gekocht werden soll. Das heißt, gemeinsame Aktivitäten werden abgestimmt, kritische Äußerungen, die rassistische, diskriminierende oder intolerante Ansichten verdeutlichen, werden sofort mit allen Beteiligten innerhalb eines Safe Space besprochen, um die Hintergründe der Äußerung offenzulegen und dem- oder derjenigen klar zu machen, welche Auswirkungen solche Aussagen haben können. Ein demokratisches Bewusstsein habe ich nicht mit ins Kamp gebracht. Es war bereits da.

„Die Gestaltung demokratischer Prozesse wirkt eher altmodisch und kompliziert“

Was sind deiner Meinung nach die größten Hindernisse für Jugendbeteiligung an demokratischen Prozessen und wie kann man diese überwinden?

Auch aus meinem beruflichen Kontext weiß ich, dass die Gestaltung demokratischer Prozesse eher altmodisch und kompliziert auf Jugendliche wirkt. Beispielsweise sehen sich die Jugendlichen, die am Kinder- und Jugendrat der Stadt teilnehmen möchten, zunächst mit einem Berg an Bürokratie konfrontiert, bevor sie richtig einsteigen können. Diese Prozesse sollten vereinfacht und vor allem barrierefrei sein – d.h. auch sprachliche Barrieren sollten für die Jugendlichen kein Stein im Weg zur demokratischen Mitbestimmung in der Gesellschaft sein.

Das Projekt „Listen Up – Jetzt sind wir dran“ kooperiert mit weiteren Kinder- und Jugendzentren in Bielefeld und ist immer auf der Suche nach neugierigen und interessierten Freiwilligen. Melden Sie sich gerne unter  0521 9216-444 oder listenup@awo-owl.de.